Springe direkt zu Inhalt

Teilprojekt 01

Allegorische Minnejagd: Chansonnier et mélanges littéraires: BNF Fr 25566, fol. 220v.

Allegorische Minnejagd: Chansonnier et mélanges littéraires: BNF Fr 25566, fol. 220v.

Ich bin niht niuwe –?  Neuerung als paradoxer Effekt ihrer Infragestellung im Liebesdiskurs des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Prof. Dr. Susanne Köbele (Deutsches Seminar, Universität Zürich)

Das Teilprojekt zielt auf eine epochenprägnante Poetik und Pragmatik liebeslyrischer Novation im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Anhand paradigmatischer Textreihen aus dem 13. bis 15. Jahrhundert wird eine genuin lyrische (bzw. lyrisch initiierte) Poetik des niuwen entworfen, in deren Zentrum die Frage steht, wie sich ‚alte‘ Formansprüche, Gattungs- und Diskurstraditionen zu ‚neuen‘, intertextuell dichten Rekombinationen verschränken. Durch möglichst enge Zusammenführung von überlieferungsbezogener, poetologischer, textpragmatischer und texttheoretischer Argumentation soll das für die mittelalterliche Epik bereits reich traktierte Forschungsfeld der ‚Retextualisierung‘ auf die Lyrik und deren spezifische mediale, poetologische und performative Bedingungen übertragen und modifiziert werden.

In der ersten Förderphase erwies sich die Schlüsselthese als zutreffend, dass zur Erfassung der ambivalenten Alt-Neu-Dynamiken lyrischer Transformationsprozesse vor allem Texte systematisch wie historisch signifikant sind, in denen implizite (allusive, metaphorische, ironische, medial-performative) und explizite (argumentative, selbstreflexive) Formen der Diskursivierung von ‚Altem‘ und ‚Neuem‘ nicht symmetrisch bzw. synchron anzutreffen sind, sondern in temporaler wie axiologischer Hinsicht gegenläufig.

Bestätigt hat sich in der ersten Förderperiode darüber hinaus die Hypothese, dass das Spannungsfeld heterogener und heterochroner Novationsansprüche im Fall des semantisch und epistemisch hochgradig integrativen Minnethemas besonders komplex ist, weswegen die auf Objekt- und Metaebene umstrittenen Alt-Neu-Implikationen sich hier auf allen Ebenen vervielfältigen und mischen: über Diskursinterferenzen (weltlich-geistlich, antik-höfisch-christlich), Gattungsinterferenzen (zentral: Minnesang, Minnerede), mediale Interferenzen (mündlich-schriftlich, handschriftlich-gedruckt, Text-Bild) und kultursprachliche Interferenzen (volkssprachlich-lateinisch). 

Das schwer überschaubare Material wird mithilfe zweier synchroner Schnitte komplementär bearbeitbar: Der eine Untersuchungsbereich gilt im Ausgang von Walther von der Vogelweide minnesangspezifischen oder von Minnesang initiierten zwiespältigen Überbietungsdiskursen des Spätmittelalters (‚Überkunstwerke‘: Hyperbolik, Metakunst, Diskurstransgression), der andere Bereich widmet sich – ausgehend von Hadamars von Laber liebesallegorischer Jagd – der umbesetzenden Adaptation der prestigeträchtigen Form der Titurelstrophe im 14. und 15. Jahrhundert. Die Weiterführung der strophischen Tradition in den spätmittelalterlichen ‚Minnereden‘ ist ein geradezu prädestiniertes Arbeitsfeld, um das ambivalente Zusammenspiel von Altem und Neuem für die mittelalterliche Literatur herauszustreichen: Stellt das explizite Formzitat einerseits klare Bezüge zur epischen Titurel-Tradition her (Wolframs von Eschenbach ‚Titurel‘ und Albrechts ‚Jüngerer Titurel‘), so nähert andererseits die inhaltlich radikale Umbesetzung der Form respektive ihre Beschränkung auf das allegorisch und dialogisch verhandelte Minnethema diese stärker wieder dem lyrischen Minnediskurs an. Dabei kann zudem eine paradoxe Verweislogik konstatiert werden: Die intertextuellen Bezüge auf die ‚alten‘, epischen Inhalte der Titurelerzählung werden bei Hadamar in ihrer Referentialität durchlässig und alludieren stets auch auf ‚neue‘ Wissensbestände und Diskurse jenseits der über die Form anzitierten Prä-Texte. Diese lusorische Qualität entfaltet dabei stellenweise zugleich auch komische und ironische Potentiale, denen das TP01 – für Hadamar und für Texte der Hadamar-Tradition – ebenfalls Aufmerksamkeit schenken will. Durch die gemeinsamen Interessensbereiche von Gattungsinterferenzen, Diskursmischungen und (potentiell komischer/ironischer) Allusivität sind die Aufgabenbereiche der TP-Leiterin und des Mitarbeiters eng verklammert. Auch ergeben sich durch diese Fragestellungen zahlreiche Synergien und ein produktiver Austausch mit anderen TP der Forschungsgruppe; so treffen sich u.a. TP 01 und 02 im gemeinsamen Interesse an verschiedenen Formen ironischer ‚Selbstarchaisierung‘ und nostalgischer Selbstmonumentalisierung von Texten, die von Gattungsmischungen begleitet, getragen oder auch initiiert scheinen.


Teilprojektleitung

Prof. Dr. Susanne Köbele

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Tim Huber

Studentische Hilfskraft

Tatiana Carina Hirschi